Outing ist scheiße

Seit ich ein paar Menschen die mir sehr nahestehen von meiner Diagnose erzählt habe, sind exakt diese Menschen fast komplett aus meinem Leben verschwunden. Regelrecht geflohen sind sie. Sie verstecken sich und wollen alle nichts mehr mit mir zu tun haben. Keiner weiß anscheinend mehr mit mir umzugehen. Im besten Fall wird noch etwas rumgedruckst. Alle anderen antworten mir nichtmal mehr. Bin ja schließlich plötzlich total anders. Vorher galt ich als verrückt, bekloppt, unkonventionell, kreativ, chaotisch, spannend anders, alle liebten meine etwas „andere“ Art und tankten sich förmlich daran auf. Hach was war das toll mit so einem schrägen Vogel wie mir Zeit zu verbringen. Tja und heute? Heute wird das selbe Verhalten an mir als behindert gewertet.

Ich bin vom Menschen und Freund zum Behinderten geworden und ich hätte nie gedacht was das für einen gewaltigen Unterschied machen kann.

Ich rede hier nicht von irgendwelchen Menschen sondern den paar wenigen die ich wirklich als beste Freunde ansehe. Menschen die ich als total gute Menschen ansehe, neugierige und offene mit Interesse an Tiefgang, an mir, von nichts zu schocken, Menschen die sich förmlich danach verzehrt haben möglichst täglich Umgang mit mir zu haben. Die mich ständig um Rat baten, meine Meinung hören wollten. Gute Menschen! Auf einmal ist all das weg. Die Augenhöhe ist weg und es ist ein Gefälle entstanden in dem ich plötzlich ein Behinderter bin der ganz unten steht. Man würde mich jetzt sicher nichts mehr fragen.

Ich könnte mir in den Hintern beißen daß ich es ausgerechnet den wichtigsten Menschen in meinem Leben im Vertrauen erzählt habe und nicht den doofen. Nun sind die wichtigsten weg und die doofen bleiben.

Danke liebes Leben für diese Lektion!

Hätteste mir aber auch vorher mal stecken können daß das ne saublöde Idee ist. Aber ich hätte das wahrscheinlich gar nicht geglaubt…

 

 

 

 

Bin ich denn so widerlich?

Manchmal fällt es mir doch sehr schwer, meinen Selbstwert oben zu halten und mir einzureden daß ich toll bin und alle anderen nur doof. Vor allem wenn mich immer und immer wieder Menschen die mich viele Jahre lang begleiten plötzlich ohne erkennbaren Grund zu meiden scheinen. Menschen die mir sehr nahestehen, Menschen mit denen ich locker befreundet bin, alle! Menschen von denen ich dachte daß sie mich jeder irgendwie auf seine individuelle Art und Weise mögen. Keiner will anscheinend mehr näher mit mir zu tun haben, aber alle tun so als wäre es anders.

Da lade ich hier oder dazu ein, alle jubeln laut hey…das ist genial, natürlich kommen wir…dürfen wir auch bei euch schlafen?…freufreu…und wie immer stehe ich hinterher komplett alleine da. Habe alles toll vorbereitet, mich wochenlang gefreut wie Sau und dann geht es meist schon los mit dem rumgedruckse, bis eine Absage nach der nächsten reinschneit.

Wenn das nun ab und zu mal vorkommt, okay…ich bin da echt nicht böse. Aber es passiert immer und immer wieder. Das tut echt weh und ich verstehe das nicht. Das war mal anders.

Es wäre okay für mich wenn ich wüßte daß keiner kommen mag, oder mich alle doof, langweilig whatever fänden oder einfach keine Lust haben. Das wäre wirklich völlig okay. Ich bin Kummer und Einsamkeit mein Leben lang zu sehr gewöhnt, als daß ich es wem übel nehmen würde. Aber offensichtlich aus Feigheit so zu tun als ob und dann abzuhauen, das macht mich irre. So zu tun als wäre es das tollste der Welt zu mir zu kommen und dann ist das alles nicht wahr. Das ist ein böses Rumgetrampel auf meinen Gefühlen von Menschen die ich sehr schätze. Das will ich nicht haben, denn ich finde ich habs oft schon schwer genug.

Wahrscheinlich ist das wieder so ein Ding wie die Frage „Wie geht´s“ auf die auch keiner Antwort haben will. Vielleicht sagt MAN Sachen erstmal oberflächlich zu weil absagen im Kopf keine Option ist und windet sich dann spontan raus?

Sorry daß ich Menschen grundsätzlich ernst nehme ;-(

meine 2. Idee dazu poste ich in einem gesonderten Beitrag

 

Superkraft: unsichtbar sein

Ich glaube meine geheime Superkraft ist es, unsichtbar zu sein. Das ist doof und schön zugleich. Manchmal liebe ich es, weil mein Leben dadurch einfacher wird und mir vieles erspart wird. Oft ärgert es mich, weil es so viel Kraft kostet gegenan zu gehen aber so langsam gewöhne ich mich dran. Ein paar kleines Beispiele?

Ich bin in einer Facebookgruppe in der sich eine Tierhilfe hier im Dorf  grade neu formiert. Jeder einzelne Pups der von Mitgliedern dieser Gruppe gespendet wird, wird sofort großartig mit Bild und Text gefeiert und gelobhudelt. Ich habe vor ein paar Tagen sehr viele gute und wertvolle Sachen an die einfach verschenkt, hatte sogar noch ein tolles längeres intensives Gespräch mit den Initiatoren. Ratet mal, wer beim öffentlichen Lobhudeln schlicht vergessen wurde?

Ich war schon ewig nicht mehr in der Hundeschule. Vermißt hat uns noch keiner.

Im Kindergarten stehen wie jedes Jahr Elterngespräche an. Auch dieses Jahr sind alle Eltern, grade die der zukünftigen Schulkinder dran. Wir nicht! Wir sind seit 4 Jahren in dieser Kita. Ratet mal, zu wievielen Elterngespräche wir eingeladen wurden? Kein einziges! Eines haben wir uns mal ganz am Anfang erstritten, weil wir vergessen wurden. Danach hatten wir keine Lust mehr.

Hortplatzanmeldung: Wir haben uns wie alle anderen Eltern angemeldet. Sogar intensiver als alle anderen Eltern mit persönlich, schriftlich, telefonischer Erinnerung. Ratet mal, wer irgendwie von der Anmeldeliste verschwunden ist weil er sich angeblich nicht angemeldet hatte?

Ich habe in der Schule 2 Jahre Informatikunterricht geschwänzt, weil mir das zu doof war. Ich war also nach 1-2h nie wieder da und es hat keiner gemerkt, trotz Klassenbücher und Anwesenheitslisten. Sogar vom Zeugnis ist dieses Fach dann irgendwie verschwunden. Ich hab zum Glück nie Ärger bekommen.

Ich habe Geburtstag, ich kenn das Thema ja schon, daß ich immer vergessen werde, also erinnere ich jedes Jahr immer brav alle wöchentlich daran, damit das auch was wird. Dieses Jahr hab ich mal einen Versuch gestartet und nur 1x fest eingeladen und erinnert. Es kommt nun natürlich niemand. Nicht weil man nicht könne oder wolle, nein…man wird es schlicht und einfach vergessen haben.

Ich gehe einkaufen und werde an der Kasse einfach übersehen, obwohl ich direkt vor der Kassiererin stehe.

Bäcker bedienen immer zuerst die Leute hinter mir, als wäre ich schon dran gewesen

Wenn ich irgendwo neu hinkomme, redet oft keiner mit mir. Nicht weil die mich doof und unnahbar finden (was ja manchmal auch der Fall ist, aber dann sehen sie mich ja), sondern manchmal sieht mich einfach keiner. Ja, ich kann den Unterschied spüren ob die mich halt doof oder seltsam finden oder ob die mich einfach nicht wahrnehmen.

Kennt ihr so diese Blitzlichtdinger bei Selbsthilfegruppen wo jeder reihum kurz was sagen darf?  Meist beginnt man so neben mir daß ich als letzter dran wäre, um dann beim vorletzten Menschen, also dem vor mir theatralisch Schluß zu machen, bevor ich losquatschen kann. (Nein, ich bin nicht zu langsam, ich wurde einfach übersehen)

Natürlich werden dann auch alle verabschiedet außer ich.

Ich könnte stundenlang weiterschreiben, aber mir fällt tatsächlich grade kaum etwas ein, weil es durch die Masse des Auftretens schon so fürchterlich normal und unbedeutsam ist daß mir kaum etwas spezielles einfällt. Vielleicht mach ich hier mal nen neuen tag auf und berichte. Schon alleine um es auch mal für mich sichtbar zu machen. Es gibt wirklich schlimmeres als unsichtbar zu sein. Das erspart manchmal mir ne Menge doofer Sachen. Mir passiert sowas schließlich immer und ständig. Jeden Tag und egal in welcher Situation. Ich kann nicht sagen daß ich völlig unscheinbar wirke und vielleicht hochgradig verschüchtert und geduckt durchs Leben gehe. Klar bin ich vom Typ her eher ruhiger, manchmal etwas seltsam wirkend aber das sind andere auch und die werden doch auch alle gesehen. Manchmal stehe ich auch absolut aufrecht, fröhlich, voller Energie in knallroter Jacke vor Menschen und strahle sie an und bleibe dennoch unsichtbar. Mache ich mich aufwändig bemerkbar, dann ist es den anderen oft sehr peinlich.

All sowas ist seit ich lebe mein täglich Brot. Ich komm damit klar, kenn es ja auch nicht anders und nehm es nicht sonderlich persönlich. Schließlich ist es selten Absicht, aber manchmal wundere ich mich ja schon warum das so ist. Versetze ich die alle in eine Art seltsamen Trancezustand? Mache ich einfach zu wenig auf mich aufmerksam? (andere Menschen machen das doch auch nicht?!) Wirke ich vielleicht doch anders und unscheinbarer als ich denke? Bin ich durch meine Vergangenheit einfach zu gut darin? Sollte ich mit dieser Fähigkeit Zauberer werden? Kann ich das irgendwie anderweitig nutzen? Sollte ich bei wichtigen Dingen irgendwas irgendwie anders machen um Stress zu vermeiden? Fragen über Fragen. Ich kenne die Antworten nicht.

Ich genieße einfach jeden Menschen der mich dann doch mal „sehen“ kann. Es gibt sie diese Menschen in meinem Leben und solange sie existieren ist das alles nicht doof für mich. Es gibt für mich nichts schöneres auf dieser Welt sich sichtbar zu fühlen. Von diesen wenigen Menschen nur 1x kurz wirklich gesehen zu werden füllt 100x ärgern über all die doofen Unsichtbarkeiten definitiv auf.

Danke für die, die das hier sehen und lesen 😉

 

 

Sozialerror

Da ist sie wieder diese soziale Unbeholfenheit, gepaart mit dem Wunsch alles richtig zu machen und nicht zu wissen was eigentlich richtig ist. Hier mal ein aktuelles, eher kleines und unwichtiges Beispiel aus meinem Alltag was aber gut verdeutlichen kann was mir immer und immer wieder passiert:

Ich nutze Facebook relativ selten, und so kam es daß ich bis heute eine Anfrage einer Nutzerin via PN erst heute sah. Die war irgendwie versteckt, weil wir nicht befreundet sind. Da suchte ein Mädel, die meinen Namen von der diagnostizierenden Psychologin hatte (hab das damals freigegeben für Interessierte)  aus meiner Umgebung Kontakt zu anderen Autisten. Zeitgleich hatte ich ein Mädel dort angeschrieben die mir supersympathisch vorkam. Ihren Namen bekam ich von jemanden der hier Kurse in der Gegend gab und meinte, hey ihr beide sucht beide Kontakt in eurer Gegend und ihr paßt echt prima. So kam es daß ich beide Mädels voller Freude ganz nett anschrieb und nun wie wild hibbelte ob ihrer Antwort und sauneugierig darauf war sie kennenzulernen und das einzige was passierte war, sie lasen es und nahmen beide fast zeitgleich kommentarlos meine Freundschaftsanfrage an. Mehr passierte nicht. Ich hab mir gedacht, hey…man hat ja nicht immer Zeit zum zurückschreiben. Wartest du einfach noch ein bißchen. Tja, ich warte immer noch und nun geht die Gedankenmühle an. Durch das akzeptieren der Freundschaftsanfrage können die ja schon mal was von mir lesen. Hat sie da vielleicht was schockiert daß sie lieber nicht antworten? Wissen sie nicht was sie schreiben sollen? Haben sie vielleicht nicht verstanden was ich will? Warten sie nun auf Reaktionen von mir? Werd ich zu nervig und aufdränglich wenn ich nochmal schreibe? Was sollte ich auch schreiben? Warum sagen die nix?… Ich hab keiiiiiiiine Ahnung. In meiner Denkweise wären sie jetzt dran mit schreiben, wo ich sie doch beide vorher voll nett anschrieb, bzw. der anderen antwortete daß ich zwar wegen nichtsehens zu spät antworte aber immer noch ganz doll Kontakt suche und ob sie noch Interesse hätte. Sie haben es beide gelesen und beide haben daraufhin stillschweigend meine Freundschaftsanfrage angenommen. Also wars ja nicht so doof was ich schrieb. Mich verwirrt es extremst daß sie nicht antworten. Fänden die mich nun doof, wäre das okay und logisch für mich nicht zu antworten. Finden sie mich erstmal sympathisch, was ja den Anschein macht dann antwortet man doch. Man kann doch keinen nett finden und dann so rein gar nicht antworten. Das geht doch nicht, das kapiere ich nicht und dann brennts in meinem Hirn vor lauter Grübeleien durch. Ich versteh das nicht und hab keine Ahnung was ich nun machen soll.

Jeder Außenstehende würde jetzt sagen, stell dich nicht so an. Wenns dich interessiert, schreib doch fix nochmal was.

Aber das geht nunmal nicht so einfach für mich. Würde das gehen, wäre ich wohl kein Autist. Ich versuchs mal zu erklären. Wenn mein System durchgebrannt ist und im LogikERROR steckt geht das nicht. Dann kann ich nicht logisch und planvoll handeln. Ich kann eigentlich gar nicht mehr handeln und auch nicht mehr denken, weil alle Denkvorgänge belegt sind. Wenn etwas das für mich ganz klar ist und nach meinem gedachten Schema F das ich anlege nicht funktioniert und auch sonst nach keinem mir bekannten anderen Schema, dann ist da irgendwo ein Fehler. Also springt die Fehlersuche in mir an. Es setzt eine Endlosschleife von immer und immerwieder rotierendem Denken mit dem Ziel ein Schema, eine Logik für eine zu entwickelnde Lösung zu finden ein. Meist bleibt es ohne Ergebnis und rotiert somit wieder von vorne los und somit weiter und weiter…das könnte eigentlich endlos gehen. Ich stell mir vor daß das vielleicht der Moment ist, in dem andere nur noch in der Ecke sitzen und vielleicht noch vor und zurückschaukeln. Ich mache sowas nicht, aber auch ich hocke starr und lasse rotieren. Dann stecke ich sozusagen im HirnERROR und bin erstmal komplett handlungsunfähig. Zumindest für sinnvolle Handlungen oder Gedanken bin ich nicht mehr verfügbar. Ich kann dann nicht mal schnell drüber nachdenken was es noch für klare Grunde gäbe, ich kann nicht kurz mal schreibend nachfragen. Ich kann nur noch im Kreis dieses eine Thema denken. Zum Glück hat mein Hirn einen Notmechanismus. Leider einen recht selbstzerstörerischen, aber alles ist besser als für immer und ewig so dazuhängen. Nach einer Weile hat der Kopf keine Lust mehr und es brennt in meinem Hirn durch das ewige erfolglose rotierende Denken was durch. Das stoppt die Schleife, aber es schädigt mich auch und klaut mir enorm viel Energie. Inwiefern es mir schadet, das kann ich nicht in Worte fassen. Es ist auf jeden Fall nicht gesund und macht viel kaputt. Das dauert dann eine ganze Zeit in der ich mich erstmal wieder regenerieren und davon erholen muß. Das sind dann je nach Tagesform und vorhandener Löffeldichte Stunden, Tage oder Wochen die vergehen müssen.

Und dann, aber nur dann kann ich wieder klar gradeaus denken und Wege sehen die es vorher anscheinend nicht gab und dann werde sie wohl mal anschreiben oder besser noch ihnen diesen Text hier zeigen.

 

Neues Jahr, altes Fettnäpfchen

So langsam erkenne ich meine immerwährenden Fettnäpfchen in die ich eigentlich immer trete. Trotzdem latsch ich da jedesmal rein.

Eines davon kann ich jetzt neu benennen:

Immer wenn ich zB. in der Nachbarschaft oder in meinem Umfeld neue Menschen per Zufall kennenlerne, verspüre ich in mir einen immensen Wunsch danach daß es diesmal passende und coole Leute sind, denn ich fühle mich sehr einsam und wünsche mir nichts sehnlicher als ein paar nette und coole Menschen in meinem näheren Umfeld. Wenn die dann nur irgendwie nett mit mir reden oder unsere Kinder miteinander spielen oder auch nur ein Ding paßt zu den tausenden die mir gefallen projeziere ich anscheinend all meine geheimen Wünsche in diese Personen und finde die erstmal totaaaaal nett und toll. Ich kann nur gutes an denen sehen. Ich geb dann förmlich alles, egal was meine erste Intuition sagte. Ich bin dann immer voll nett, interessiert, wir teilen kleine Geschichtchen, ich gebe Infos, ich lade ein, komplimentiere…was auch immer. Ich geb richtig gas daß die mich auch nett und passend finden. Tja und irgendwann lichtet sich die Umnachtung und ich stelle fest daß das doch nur dumme und doofe Menschen sind, die absolut nicht zu mir passen und dann werd ich die nicht mehr los, weil die mich durch all mein Engagement vorher total klasse finden. Selbst verbockt würd ich sagen. Und ich tue es immer wieder und wieder. Aaaaaaaaargh!!!!

Mama, heute hat schon wieder niemand mit mir gespielt

Das und ähnliches höre ich nun eigentlich langsam tagein und tagaus vom Tochterkind (6 Jahre) und es tut mir sehr weh zu sehen daß sie wohl doch meinen Weg einschlägt. Ich erkenne viel und ich kann nicht helfen. Ich kann nur zusehen und hoffen daß sie die Kurve kriegt. Dabei ist sie mir in vielem vorraus, viel fröhlicher, viel offener, viel menschenbezogener als ich es je war.

Aber sie rafft diese Sozialdinge einfach nicht.

Niemand würde jemals mit ihr spielen wollen, immer wäre sie alleine und das wäre ja so schrecklich. Ich habe gefragt, ob sie es denn versucht hätte Kontakt aufzunehmen. Daraufhin meinte sie, die lassen sie alle einfach nicht in Ruhe alleine spielen und kommen immer an und wollen was von ihr. Das wäre voll doof.

Ja mein Kind, wahrscheinlich wollten sie grade mit dir spielen aber du erkennst das nunmal nicht. Vielleicht stimmt deren timing nicht und sie kommen immer dann an, wenn du grade Ruhe haben willst und nie wenn du grade auf Kontakt bist, aber sie haben gezielt Kontakt zu dir gesucht und wenn du sie das 20. mal genervt abgewiesen hast, werden sie auch nicht mehr ankommen und dich irgendwann doof finden.

Aber erklär das mal einem Autisten wie das funktioniert. Vor allem wenn man selber auch immer so „gut“ in Sozialdingen Bescheid weiß.

aaaaaargh!

Gesichtsblind? Aber ich ich doch nicht

Tja, so dachte ich 35 Jahre lang von mir. Ich kann ja schließlich Gesichter sehen, erkennen und auch durchaus unterscheiden. Ich habe keine verschwommene Fläche vor mir wenn mich einer anguckt. Außerdem habe ich mich mein Leben lang sehr detailliert und fast fanatisch mit dem Thema Gesichter befaßt. Ich bestehe sämtliche Gesichtstests mit Bravour, ich bin ein Meister der Antlitzdiagnostik, ich erkenne jede Regung und kann sie deuten, ich kann durchaus meine Nachbarn auf der Straße erkennen und grüßen. Ich bin doch nicht gesichtsblind. Das kann ja gar nicht sein. Heute weiß ich daß ich doch Prosopagnostiker bin. Also ein Gesichtsblinder. War die Erkenntnis anfangs eher unglaublich für mich, kann ich heute sehen daß das sehrwohl stimmt. Ich habe mich damals auf die Suche gemacht wie ich so funktioniere und wie das sein kann. Ich erkenne doch Menschen und manchmal sogar zuverlässiger als andere. Wie kann das sein?

Ganz einfach, ich habe meinen Mangel schon von Kindesbeinen an zum Spezialinteresse gemacht. Menschen! Dazu gehört auch das lesen und erkennen von Körpersprache und Gesichtern. Ich habe es geübt und geübt wie nix gutes. Das war für mich auch überlebensnotwendig, denn meine psychisch schwerkranken Eltern waren oft auch sehr sehr böshafte Eltern und es war für mich sehr wichtig so schnell wie möglich zu erkennen wer oder was mir da grade wie gegenüberstand um angemessen reagieren zu können. Jedesmal wenn ich mich vertan hatte, hatte es sehr böse Konsequenzen für mich. So hab ich es durchaus sehr schnell gelernt Gesichter bewußt zu lesen und zu deuten. Also das gesehene mit dem Gelernten abzugleichen um zu interpretieren. Bewußt, das ist der Schlüssel und Unterschied zu anderen. Ich erkenne nichts einfach mal so, ich habe keinen Autopiloten für Gesichter. Ich muß sie mir durch denken mühsam erschließen. Das kostet enorm Kraft und Energie. Daher lese ich Gesichter nur, wenn genug Kraftreserven vorhanden sind oder wenn es wirklich wichtig ist.

Nun würde man denken das würde man doch merken, aber dem ist nicht so. Ich erkenne ja Menschen durchaus auch sehr zuverlässig. Ich grüße Nachbarn die mir im Auto entgegenkommen, ich kann Kollegen, Patienten, Freunde und gute Bekannte jederzeit auseinanderhalten, ich erkenne sogar jahrelang nicht gesehene Bekannte auf einem Konzert 20m vor mir von hinten.

Tja, wie mach ich das bloß? Ganz einfach. Ich kann zu meinem Glück unwahrscheinlich schnell denken und Zusammenhänge bewußt knüpfen. Da ich das aber mein Leben lang arg trainiert habe, spüre ich den Aufwand gar nicht mehr. Vor allem Gesehenes wird bei mir viel schneller verarbeitet und zu einem Ganzen verwurstet als bei anderen Menschen. Ich erkenne jedes Auto und jedes Nummernschild in Buchteilen von Sekunden und kann dann Aktion grüßen starten. Ich erkenne Menschen die ich bereits gut kenne zuverlässig an der Art wie sie sich bewegen. Sie könnten sich auch komplett verkleiden und ich würde sie jederzeit erkennen. Neulich gab es ein Konzert einer neuen verrückten Band deren Mitglieder geheim bleiben wollten, man wußte nur daß sie Mitglieder aus bekannten anderen Bands sind. Sie standen alle Kopfvermummt auf der Bühne und ratet mal, wer als Einziger sofort wußte wer da stand. Manchmal ist das ja durchaus praktisch 😉 Ich gleiche anscheinend Bewegung und gewohnte Optik wie Klamotten/Haare gerne miteinander ab. Je mehr Infos ich bekomme, desto zuverlässiger bin ich. Allerdings strauchel ich auch oft, wenn ich Menschen eben nicht so gut kenne oder nicht weiß wie sie sich bewegen, sie plötzlich neue Haarfarben haben, andere Klamotten tragen oder ich sie in einem nicht passenden Kontext treffe wo sie eigentlich nicht hingehören.

Da kann es sein, daß ich meinen Besuch den ich nur aus dem Internet kenne trotz massenweiser aktueller Fotos nicht am Treffpunkt erkenne oder maximal die Klamotten der rumstehenden Leute durchscanne um ihn zu erkennen. Ich erkenne den Postboten nicht beim einkaufen, der seit vielen Jahren ganz zuverlässig und freundlich täglich meine vielen Pakete ohne murren bringt, ich vertue mich ständig in Menschenmengen und grüße wildfremde Personen, weil so viele Bewegungszwillinge rumrennen und wenn dann auch noch die Haare annähernd gleich sind, läuft halt Reaktion grüßen wieder automatisch ab. Menschen an denen ich wenig Interesse habe, lose Bekannte, Freunde von irgendwem etc. die erkenne ich manchmal auch nach Jahren nicht immer zuverlässig. Gerne führe ich auch seltsame Smalltalkunterhaltungen (ja, hey…ich beherrsche Smalltalk mit Bravour und das als Autist!) mit Menschen von denen ich keinen Schimmer habe wer sie sind. Ich versuche dann im Gespräch immer irgendwelche Informationsbrocken herauszubbekommen ohne aufzufliegen. Selten bekomme ich die und so grübel ich oft tagelang mit wem ich die ganze Zeit wohl so nett geredet haben könnte und wie ich bloß reagiere wenn ich diesen Menschen wiedertreffe oder er mich auf unser Gespräch anquatscht.

Tja, was mach ich nun damit?

Weitermachen, denn es läuft ja eigentlich ganz gut. Gibt schließlich schlimmeres im Leben und manchmal ist es auch durchaus hilfreich so zu sein. Ich erzähle es möglichst oft und offen daß ich Schwierigkeiten habe, Gesichter zu erkennen und daß man mich doch bitte ansprechen soll und ansonsten lebe ich damit. Ich versuche Menschen beim einkaufen und ähnlichem nicht anzugucken, dann kann niemand sagen ich hätte ihn ja erkennen müssen. Ich kann mich jederzeit auf, huch…ich hab sie gar nicht gesehen berufen. Ich werd ja oft eh als Schussel und Tüddeltante von außen angesehen, da verzeiht man mir recht schnell so ein paar kleinere Fehltritte. Ansonsten versuche ich bei fachlichen Treffen vorab so viele Fotos der Personen als möglich anzuschauen die ich im Internet finden kann um sie mir einzuprägen.

Also wenn wir uns mal treffen sollten, einfach anquatschen oder vorab Fotos von den Klamotten die man aktuell trägt schicken.

 

 

Mir ist noch hinterher ein bißchen dazu eingefallen: Nachtrag Gesichtsblindheit

Wie kann ein Mensch das ertragen?

Ich bin seit 6 Tagen am Stück richtig doll krank, anders krank als ich es von mir so kenne und ich vermute daß es eine Art von Overloadreaktion ist. Ich habe seit all diesen Tagen durchgängig schmerzhaften Husten des Todes, mit übler Atemnot, akutem Schlafmangel denn ich schlafe keine Stunde ohne von Hustenanfällen wach zu werden und fast zu kotzen, ich habe am ganzen Körper an jeder Stelle die er so hat sehr starke Schmerzen, Fieber und dazu eine unwahrscheinliche Reizoffenheit. Ich bin sonst immer irgendwie anders krank und nie so lange so doll an so vielen Tagen hintereinander. Diesmal ist anscheinend mein Körper so richtig auf Schmollkurs mit mir, weil ich mir einfach unwahrscheinlich viel zumute seit Tagen. Shutdownfrei, Meltdownfrei und freiwillig wie gesagt.

Seit 11 Tagen mache ich ganz freiwillig jeden einzelnen Tag zu einem potentiellen Overload-Shutdown Tag mit größeren Aktionen. Normalerweise würde mich jeder einzelne Tag schon ins off schießen am Abend. aber ich halte irgendwie durch und manchmal frage ich mich warum und wie.  Ich würde sagen jede einzelne Tag, jede Begegnung war es absolut wert, aber nun kommt halt anscheinend die Endabrechnung. Ich schreib euch mal, was so die Tage passierte:

Tag 1:

Mein für ein paar Tage Twitterbesuch den ich noch nie persönlich traf an vom Flughafen abgeholt, sich gegenseitig beschnuppert, sich für supernett befunden, mit dem Auto ans Meer gefahren, viel gequatscht, viel gesehen, gekocht, gegessen, getrunken

Tag 2:

Sightseeing in Hamburg mit dem Besuch und dem teuersten Fischbrötchen von der Welt (also psychisch gesehen, absolut overloadschreiende Butze in der wir beide lange auf unser Brötchen warten mußten) Vorbereitungen für das morgige Twittertreffen bei uns. Immer noch nicht 1 Sekunde alleine gewesen. Das war supernett, aber für jemanden der ständig mal ne Pause von Menschen braucht echt anstrengend. Danach noch Kraftwerkkonzert obendrauf.

Tag 3:

Sightseeing mit Besuch in Stade und am Elbstrand, diverse Twitterer kamen Abends zu Besuch zum „Tweuer“. Ich habe den ganzen Tag nebenher noch Soljanka mit und ohne vegan gekocht, alles vorbereitet viel geplant und dann kam alles anders als vorgestellt. Wer mich kennt weiß wie sehr mich Planungsvorgänge unter Anwesenheit von Menschen auslaugen. Abends war komische Stimmung, keine Ahnung warum aber mein „Menschenrauschsinn“ hatte viel zu tun und mitzufühlen warum es jedem einzelnen grade nicht gefällt und so. Habe versucht theatralisch alle doofs von allen Seiten aufzufangen und abzumildern und mich glaub ich viel zu sehr verausgabt dabei und zum Kasper gemacht. Hab ich mir natüüüüüüürlich hinterher gleich wieder vorgeworfen.

Tag 4: Kopfwehtag, nochmal gemeinsames Sightseeing in Hamburg mit Hafencity und Speicherstadt, Essen gegangen, Besuch zum Flughafen gebracht, Chaos zu Hause beseitigt, ins Bett gefallen trotzdem vor lauter Krank kaum geschlafen.

Tag 5: durch die vielen geplanten freien Tage habe ich extrem viele Patienten vor- und nacharbeiten müssen. Unausgeschlafen und krank. Das war superanstrengend. Gleichzeitig Planung und Vorbereitung des morgigen Kindergeburtstages auf absolutem Overloadrandstatus (jaaaa, wieder Planungsirrsinn!!!) Kind abgeholt, Entdeckung der gehässig abgeschnittenen Haare der Tochter, krank mit Fieber und Sorgen vor den kommenden Tagen.

Tag 6:

Früh aufgestanden zur Vorbereitung, Kindergeburtstag mit vielen sehr lauten bockigen, streitenden, genervten unerzogenen Kindern, zuvielen Erwachsenen die ebenso belustigt werden wollten, zu allem ihren Senf dazu gaben, einer nur noch robotermäßig funktionierenden Frau Anders und natürlich „meiner Mutter“. Trotz krank hab ich mich wacker geschlagen, war aber Abends total im Arsch. Krank ja wie schon erwähnt sowieso. Quasi so nebenbei.

Tag 7:

Nochmal Kindergeburtstag mit den kleineren Kindern von Nachbarn und Freunden, weil mein Kind gebettelt hat nur mit den großen zu feiern am eigentlichen Geburtstag. Mir geht es richtig arg dreckig, aber okay. Feiern wir halt nochmal mit Kindern und Menschen. Ich mache gute Miene zu bösem Spiel. Dem Kind zuliebe.

Tag 8:

Ich muß noch ganz viele Patienten abarbeiten um morgen am Geburtstag des Gatten frei haben zu können. Ich bin immer noch sehr krank, aber wenn ich heute noch durchhalte hab ich 3 Tage am Stück zur Belohnung frei. Das motiviert mich sehr. Also ordentlich mit Grippemitteln gedopt und durch. Danach Einkaufen, Geburtstagsvorbereitungen für den Gatten und viele Sorgen, weil ich ja so krank bin und alle Planungen für den morgigen Tag dahin sind. (Wir wollten das Kind in die Kita stecken und schön zusammen in die Sauna zum entspannen). Ich möchte meinem Mann soooo gerne einen schönen Tag machen, scheitere aber heute schon am Kuchenbacken so schlecht geht es mir. Mach ich halt morgen sage ich mir. Abends irgendwie bis 12 Uhr wach geblieben um in Ruhe wenigstens kurz anzustoßen.

Tag 9:

Gattengeburtstagstag. Ich könnte nur noch heulen, weil ich einfach nix mehr hinbekomme und doch so gerne möchte. Ich hab den doch so unwahrscheinlich lieb und möchte ihm so gerne einen ebenso wundervollen Geburtstag machen wie der Tochter, aber ich KANN einfach nicht. Der Körper versagt, ist 0 belastbar, fiebert und keucht. Ich versaue den Kuchen, wir machen nichts statt schöner Sachen und ich mache mir unwahrscheinlich arge Vorwürfe daß ich im Bett liege und er an seinem Geburtstag sogar noch einkaufen und den eigenen Geburtstagskuchen fertig machen muß. Abends raffe ich mich mit letzter Kraft auf, mit ihm und seinen Eltern wenigstens essen zu gehen. Zum Glück saßen wir in einer ruhigen Ecke. Trotzdem keimt die Angst vor den kommenden Tagen auf, weil ich weiß was da noch sein wird und der Akku leer ist. Ich will nur noch im Bett liegen und schlafen. Mich verziehen, keine Menschen mehr sehen.

Tag 10:

Unsere lieben Freunde aus Berlin, extrem laut, polterig, absolut überfordertgenervt mit 2 unwahrscheinlich lauten dauerheulenden unerzogenen Kindern fallen ein um sich ein paar Tage bei uns einzuquartieren und die Bude zu zerstören. Super Ding in meinem jetzigen Zustand. Schade wenn man die Freunde nie wieder ohne Kinder zu sehen bekommt. Ich ertrage die wirklich nur noch ohne ihre Kinder. Wir erfahren daß sie nicht morgen wieder fahren, sondern bis Montag hier bleiben wollten. Abends kommen noch diverse Gäste (auch wieder zT. mit Kindern, aaaaaaargh!!!!) dazu um gemeinsam den Gattengeburtstag zu feiern. Während die ruhigen, netten, älteren Kinder irgendwann friedlich ins Bett gingen und auch sonst lieb und unkompliziert waren, wurden die Schreikinder künstlich wach gehalten und nervten die ganze Nacht weiter. Natürlich wurden auch Sachen komplett verschokoladet und vollgekotzt.  Ich weiß nicht wie ich das weiter ertragen soll. Dann noch wuselige überforderte randgenervte Erwachseneneltern die über nichts anderes reden als Kinderthemen wie Kacke und Windeln. Die Kinderlosen haben zum größten Teil leider abgesagt oder sind ohne Absage einfach nicht erschienen 😦  Dazu das „Dauerrauschen“ der einzigen anwesenden ebenso hochsensiblen Kinderhasser über deren Anwesenheit ich mich eigentlich sehr gefreut habe. Die konnten das Wirrwarr und das Dauergekreische wie ich nicht ertragen, dann wurden zugekackte Kinder genau neben ihren übersensiblen Nasen auf dem Sofa gewickelt. Ich will keinen Ton mehr hören, befürchte komplett durchzudrehen und greife zum Alkohol, weil der meine Sinne etwas zu betäuben vermag und will nur noch weg. Herr Wuff schlief leider demonstrativ und ließ sich zu keinem Spaziergang mehr verleiten. Und statt daß ich mal kurz abhauen kann, hauten spontan alle Nichteltern fluchtartig ab und verließen mich quasi. Also weiter mit den Muttis und Vatis. Ätz. Ich versuche nebenher tunnelblickartig zumindest die Stiefel mit Nikolaussachen für morgen zu füllen um ein Minimum der wirklich wichtigen Sachen des Tages noch zu leisten. Alles natürlich immer noch mit quälendem Husten, teilweise Fieber und so. Irgendwann war ich sogar im Bett und alle waren ruhig. Ein Wunder!

Tja, heute ist Tag 11. Ich habe schon einen lauten Vormittag voller lautem polterigen Menschengewusel hinter mir. Den Gatten habe ich grade mit dem Besuch weggeschickt zu einem Ausflug. Morgen…morgen reisen alle ab, ich muß arbeiten und sonst geht alles seinen Gang. Ich freu mich ja schon soooo sehr darauf. Und statt daß ich mich jetzt ins Bett haue zum Genesen (ich muß ja schließlich morgen wieder arbeiten und bei unserer derzeitigen Geldnot wäre das wirklich wichtig) muß ich einfach mal zur Selbstreflexion schreiben was eigentlich alles so war die Tage. Irgendwie ist das glaub ich auch heilsam dieses runterschreiben. Wie ich das so schreibe merke ich erst daß es wirklich so ist daß ich hier grade unmenschliches wuppe für einen arg angeschlagenen Autisten. Ich muß  denken über so Sachen wie warum diesmal der Körper statt des Inneren durchdreht, warum hat der Geist keine Notbremsen vorher gezogen, wie hab ich das abdrehen eigentlich genau abgestellt und aufgeschoben, was mag die kommenden Tage passieren mit mir, wie geht es eigentlich dem Gatten (wobei der deutlich mehr Pausen hatte) usw.

Keine Ahnung warum ich diesmal krank bin. Irgendwas mit selbst schuld scheint es zu sein. Naja, ich werde mich jetzt ganz doll um mich sorgen und dann wird das auch schon wieder.

Frau Anders kann ja doch mit anderen

Es ist immer wieder erfrischend zu sehen wie toll ich Dinge plötzlich und ohne Anstrengung kann die ich ja eben eigentlich nicht kann, wenn einfach die passenden Menschen dabei passend sind. zB. socialising, Freundschaften und so Kram. Ich bin so gerne unter Menschen und kann es ja ganz oft einfach nicht. Dann versagt mal hier die Stimme, dort der Geist, da krieg ich nur die Hälfte mit, kann nicht folgen, ich langweile mich, bekomme spontane Fluchtreflexe, weiß nicht wann ich reden darf und wann es unpassend ist, gucke anders als das was ich sage, bin wieder zu direkt und offen oder ich halte zu sehr meine Klappe und oft ist einfach alles viel zuviel für mich was auf mich einströmt.

Aber mit den passenden anderen neurodiversen Menschen klappts dann auch mit dem Sozialleben wieder. Dann tue ich das was jeder Mensch tut und was ich so vermisse. Dann kann ich plötzlich all die 0815Dinge innerhalb von Sozialkontakten in denen ich bei Normalos total versage und ich muß mir noch nichtmal Mühe dabei geben. Es tut verdammt gut zu sehen daß ich es ja doch kann. Ein schönes Gefühl und das beflügelt mich auch, weiter nach neuen passenderen Kontakten in meinem Umfeld zu suchen.

Vom Baum der Erkenntnüsse

Ich beobachte mich ja nun schon länger mit anderen Augen und ich sehe von Tag zu Tag klarer wer ich bin und wie ich eigentlich so wirklich bin. Viel zuviele Jahre war ich jemand Falsches und ich habe es nichtmal selber gemerkt, weil man sich einfach irgendwann dran gewöhnt und nichts hinterfragt. Ich habe meine Stärken und Schwächen ganz anders eingeschätzt als ich es jetzt tue. Ich war ja auch wirklich jemand komplett anderes. Ich mochte andere Sachen, konnte andere Sachen, redete anders, handelte anders. Nun sehe ich plötzlich ganz viel neues und muß das erstmal neu einordnen. Das ist hochgradig spannend, aber auch nicht wirklich immer angenehm. Vor allem wenn man selber und alle um einen herum einen ganz anderen Funktionsstatus gewohnt sind.

Erkenntnis des Tages:

Ich schaffe wirklich nicht mehr als 4h klassische Arbeit am Tag, ohne meine letzten Energiereserven anzapfen zu müssen die mich in ein krasses Energieminus katapultieren. Mit 4h Arbeit meine ich Arbeit in der ich funktionieren muß, Menschenkontakt habe, Termine einhalten muß, professionell wirken muß, socialising, smalltalken, reden etc. Also alles was irgendwie Menschenkontakt dabei hat. In meinem Job als Therapeut ist das leider fast alles an Arbeitszeit, was diese Bedingungen erfüllt.

Natürlich arbeite ich als Selbständige deutlich mehr als 4h, aber die Arbeit ohne Menschen wird mir fast nie zuviel und saugt irgendwie keine Akkuleistung. Früher dachte ich immer daß ich Bürokram scheiße finde und die Arbeit mit menschen eher meines wären. Dabei ist es glaub ich irgendwie andersherum. Ich genieße den Papierkram und hasse oft die Arbeit mit Menschen drumrum. Patienten in 1:1 Situation gehen irgendwie ganz gut, aber Angehörige, Ärzte, Einrichtungspersonal etc. drumrum kann ich nicht gut. und ich freue mich über jeden meiner Patienten der alleine lebt oder kommt.

Ich hasse das sehr, daß ich so bin! Ich möchte nicht, daß ich nur so wenig schaffe. Ich will mehr können! Ich bin doch gut in meinem Job! Ich liebe meinen Job! Ich habe doch früher mehr geschafft…

Aber halt…STOP Frau Anders! Du warst früher auch deutlich kaputter, stockdepressiv, zum Teil suizidal…willst du das wiederhaben? Nö!

Es bleibt mir wohl nichts übrig das so anzunehmen, zu erkennen um dann damit zu arbeiten und mich irgendwie durchs Leben zu wurschteln. Also mirzuliebe den größtmöglichen Ideallevel am Tag zu fahren und die Ausflüge in ein „mehr als 4h“ möglichst einzudämmen oder gut zu planen.

Hmm…