Nachtrag Gesichtsblindheit

Mir fällt noch was ein zur Gesichtsblindheit. Ich erkenne oft mein eigenes Kind nicht wenn ich es in der Kita suche. Da laufen zig kleine quirlige blonde Mädels rum und egal wie sehr ich mich konzentriere, wenn ich nicht weiß was sie anhat weil der Herr Papa sie morgens hingebracht hat, habe ich keine Chance.

Ich habe auch große Schwierigkeiten Filmen zu folgen. Grade so Sachen wie Tatort oder so sind sehr schwer für mich zum folgen. Die Schauspieler sehen echt alle gleich aus für mich, tragen oft alle 0815 Klamotten und keiner sticht optisch sehr heraus. Ich erkenne einfach oft die Kommissare nicht und grübel ständig wer das nun ist, ob gut oder böse und wie das nun im Kontext zur Handlung richtig sein könnte. Ich verballer viel Energie, gleich am Anfang krampfhaft genau zu schauen wie das Gesicht und die Haare der Hauptpersonen aussehen. Wenn dann andere auch noch ansatzweise ähnlich aussehen ist es für mich vorbei. Ich bekomme keinen Handlungsstrang mehr klar und breche oft die Filme ab. Ähnlich auch, wenn ich mittendrin reinschalte. Ich kann das nicht!  In den meisten Filmen sieht man den „bösen“ ja durchaus an daß sie die bösen sind oder die Helden haben einfach eine ganz bestimmte Optik. Dann ist es einfach für mich. Aber so klassische Kriminalfilme zB. sind fast immer ganz schwierig. Daher gucke ich gerne Animationsfilme, optisch total überzogene Filme oder Fantasykram. Das kostet mich weniger Energie.

Gesichtsblind? Aber ich ich doch nicht

Tja, so dachte ich 35 Jahre lang von mir. Ich kann ja schließlich Gesichter sehen, erkennen und auch durchaus unterscheiden. Ich habe keine verschwommene Fläche vor mir wenn mich einer anguckt. Außerdem habe ich mich mein Leben lang sehr detailliert und fast fanatisch mit dem Thema Gesichter befaßt. Ich bestehe sämtliche Gesichtstests mit Bravour, ich bin ein Meister der Antlitzdiagnostik, ich erkenne jede Regung und kann sie deuten, ich kann durchaus meine Nachbarn auf der Straße erkennen und grüßen. Ich bin doch nicht gesichtsblind. Das kann ja gar nicht sein. Heute weiß ich daß ich doch Prosopagnostiker bin. Also ein Gesichtsblinder. War die Erkenntnis anfangs eher unglaublich für mich, kann ich heute sehen daß das sehrwohl stimmt. Ich habe mich damals auf die Suche gemacht wie ich so funktioniere und wie das sein kann. Ich erkenne doch Menschen und manchmal sogar zuverlässiger als andere. Wie kann das sein?

Ganz einfach, ich habe meinen Mangel schon von Kindesbeinen an zum Spezialinteresse gemacht. Menschen! Dazu gehört auch das lesen und erkennen von Körpersprache und Gesichtern. Ich habe es geübt und geübt wie nix gutes. Das war für mich auch überlebensnotwendig, denn meine psychisch schwerkranken Eltern waren oft auch sehr sehr böshafte Eltern und es war für mich sehr wichtig so schnell wie möglich zu erkennen wer oder was mir da grade wie gegenüberstand um angemessen reagieren zu können. Jedesmal wenn ich mich vertan hatte, hatte es sehr böse Konsequenzen für mich. So hab ich es durchaus sehr schnell gelernt Gesichter bewußt zu lesen und zu deuten. Also das gesehene mit dem Gelernten abzugleichen um zu interpretieren. Bewußt, das ist der Schlüssel und Unterschied zu anderen. Ich erkenne nichts einfach mal so, ich habe keinen Autopiloten für Gesichter. Ich muß sie mir durch denken mühsam erschließen. Das kostet enorm Kraft und Energie. Daher lese ich Gesichter nur, wenn genug Kraftreserven vorhanden sind oder wenn es wirklich wichtig ist.

Nun würde man denken das würde man doch merken, aber dem ist nicht so. Ich erkenne ja Menschen durchaus auch sehr zuverlässig. Ich grüße Nachbarn die mir im Auto entgegenkommen, ich kann Kollegen, Patienten, Freunde und gute Bekannte jederzeit auseinanderhalten, ich erkenne sogar jahrelang nicht gesehene Bekannte auf einem Konzert 20m vor mir von hinten.

Tja, wie mach ich das bloß? Ganz einfach. Ich kann zu meinem Glück unwahrscheinlich schnell denken und Zusammenhänge bewußt knüpfen. Da ich das aber mein Leben lang arg trainiert habe, spüre ich den Aufwand gar nicht mehr. Vor allem Gesehenes wird bei mir viel schneller verarbeitet und zu einem Ganzen verwurstet als bei anderen Menschen. Ich erkenne jedes Auto und jedes Nummernschild in Buchteilen von Sekunden und kann dann Aktion grüßen starten. Ich erkenne Menschen die ich bereits gut kenne zuverlässig an der Art wie sie sich bewegen. Sie könnten sich auch komplett verkleiden und ich würde sie jederzeit erkennen. Neulich gab es ein Konzert einer neuen verrückten Band deren Mitglieder geheim bleiben wollten, man wußte nur daß sie Mitglieder aus bekannten anderen Bands sind. Sie standen alle Kopfvermummt auf der Bühne und ratet mal, wer als Einziger sofort wußte wer da stand. Manchmal ist das ja durchaus praktisch 😉 Ich gleiche anscheinend Bewegung und gewohnte Optik wie Klamotten/Haare gerne miteinander ab. Je mehr Infos ich bekomme, desto zuverlässiger bin ich. Allerdings strauchel ich auch oft, wenn ich Menschen eben nicht so gut kenne oder nicht weiß wie sie sich bewegen, sie plötzlich neue Haarfarben haben, andere Klamotten tragen oder ich sie in einem nicht passenden Kontext treffe wo sie eigentlich nicht hingehören.

Da kann es sein, daß ich meinen Besuch den ich nur aus dem Internet kenne trotz massenweiser aktueller Fotos nicht am Treffpunkt erkenne oder maximal die Klamotten der rumstehenden Leute durchscanne um ihn zu erkennen. Ich erkenne den Postboten nicht beim einkaufen, der seit vielen Jahren ganz zuverlässig und freundlich täglich meine vielen Pakete ohne murren bringt, ich vertue mich ständig in Menschenmengen und grüße wildfremde Personen, weil so viele Bewegungszwillinge rumrennen und wenn dann auch noch die Haare annähernd gleich sind, läuft halt Reaktion grüßen wieder automatisch ab. Menschen an denen ich wenig Interesse habe, lose Bekannte, Freunde von irgendwem etc. die erkenne ich manchmal auch nach Jahren nicht immer zuverlässig. Gerne führe ich auch seltsame Smalltalkunterhaltungen (ja, hey…ich beherrsche Smalltalk mit Bravour und das als Autist!) mit Menschen von denen ich keinen Schimmer habe wer sie sind. Ich versuche dann im Gespräch immer irgendwelche Informationsbrocken herauszubbekommen ohne aufzufliegen. Selten bekomme ich die und so grübel ich oft tagelang mit wem ich die ganze Zeit wohl so nett geredet haben könnte und wie ich bloß reagiere wenn ich diesen Menschen wiedertreffe oder er mich auf unser Gespräch anquatscht.

Tja, was mach ich nun damit?

Weitermachen, denn es läuft ja eigentlich ganz gut. Gibt schließlich schlimmeres im Leben und manchmal ist es auch durchaus hilfreich so zu sein. Ich erzähle es möglichst oft und offen daß ich Schwierigkeiten habe, Gesichter zu erkennen und daß man mich doch bitte ansprechen soll und ansonsten lebe ich damit. Ich versuche Menschen beim einkaufen und ähnlichem nicht anzugucken, dann kann niemand sagen ich hätte ihn ja erkennen müssen. Ich kann mich jederzeit auf, huch…ich hab sie gar nicht gesehen berufen. Ich werd ja oft eh als Schussel und Tüddeltante von außen angesehen, da verzeiht man mir recht schnell so ein paar kleinere Fehltritte. Ansonsten versuche ich bei fachlichen Treffen vorab so viele Fotos der Personen als möglich anzuschauen die ich im Internet finden kann um sie mir einzuprägen.

Also wenn wir uns mal treffen sollten, einfach anquatschen oder vorab Fotos von den Klamotten die man aktuell trägt schicken.

 

 

Mir ist noch hinterher ein bißchen dazu eingefallen: Nachtrag Gesichtsblindheit

Todesblicke durch Sympathie oder schaun wir mal…

Immer wieder treffe ich auf Menschen die auf der einen Seite total toll das erfüllen was ich schon immer gesucht habe und auf der anderen Seite selber nach etwas suchen was ich vielleicht nicht geben kann. Ein großes Problem meinerseits ist vor allem die Kommunikation. Es gibt ein Innen und ein Außen bei mir und beide stehen überhaupt nicht gut miteinander im Kontakt. Leider hat nur das Außen irgendwelche halbwegs passablen Kommunikationsfähigkeiten als eine Art Sprachrohr, leider aber keinen Kontakt zum Innen. Tja und das Innen bin eigentlich ich und das hätte ich auch gerne mehr gezeigt.

Wobei, so richtig gut kommunizieren kann das Außending auch nicht. Es hat so halbwegs gelernt Worte zu bilden, ist dabei aber nicht sonderlich zielsicher und vielschichtig und redet nur so platt daher. Aber es reicht um nicht aufzufliegen. Wenn es aber dann Richtung nonverbale Kommunikation geht, wirds dann noch kniffeliger. Ich kann einfach nicht passend „gucken“. Gehts mir so richtig scheiße wird mir ständig gesagt wie gut und erholt ich wohl aussähe. Geht es mir blendend und ich könnte die ganze Welt umarmen fragt man mich was denn bloß passiert seie. Freue ich mich sehr jemanden zu sehen, gucke ich wohl recht abweisend und desinteressiert.  Finde ich jemanden sehr blöd, sehe ich aus als würde ich ihn freundlich anstrahlen und ihn auffordern mir seine Lebensgeschichte und intimsten Geheimnisse anzuvertrauen. Ich habe wirklich keinerlei Einfluß auf den Kram und so langsam wundert mich nichts mehr, warum in meinem Leben immer nur die falschen Menschen auf mich reagieren und die richtigen flüchten. Was hab ich in meinem Leben schon alles getan um gucken zu üben. Jetzt mit 35 Jahren hab ich es aufgegeben, mich damit zu quälen etwas zu schaffen was mir einfach nicht gelingen will. Schließlich renne ich nicht täglich mit nem Spiegel durch die Gegend um zu kontrollieren ob das Gesicht grade paßt. Dann guck ich halt wie ne Grummeltante wenn ich happy bin und gucke fröhlich wenn was nicht stimmt. Mehr als es den engeren Menschen genau so zu erklären kann ich nicht tun.

Aber wenn es um das kennenlernen fremder Menschen geht, ist das echt schon mega hinderlich. Ich kann nämlich so richtig blöd und desinteressiert gucken wenn ich arges Interesse am Gegenüber habe und verscheuche all die wirklich guten Menschen. Wie oft höre ich daß ich wie eine arrogante, kaltschultrige, abweisende, knallharte, böse Doofschnepfenart habe. Die mir sehr sympathischen Menschen flüchten regelrecht vor mir. Das tut mir doch sehr weh und macht mich sehr einsam, denn bin ich eigentlich voll das Gegenteil von alledem was ich ausstrahle und hasse solche Menschen die so sind wie ich wirke.

Also wenn sie mich mal treffen sollten und ich gucke ganz fies, laden sie mich doch einfach mal zu nem Kaffee ein. Ich finde sie garantiert supersympathisch und bin auch ne ganz friedliche Nette. Ich stell das mit dem Todesblick den ich auf sie werfe dann schon klar, wenn mein trampeliges Außenmundwerkzeug die passenden Worte dafür findet.

Ansonsten, einfach kurz mal im Hirn einstöpseln zum schnacken.

Denkstuff des Tages

Mal völlig unsortiert. Ich denke einfach extrem viel in letzter Zeit wer ich bin, was ich bin und wie das alles zusammenpassen kann. Ich hätte so gerne einen Namen für das was mit mir los ist. Daß etwas anderes als bei den meisten Menschen os ist, darüber bin ich mir eigentlich schon seit frühester Kindheit klar. Aber ich mag doch meine Schubladen, in die ich die Menschen einsortiere und ausgerechnet mich selber bekomme ich nicht klar. Ist das eigentlich normal daß man in meinem Alter (34) nochmal so arg an sich selber arbeitet und sich hinterfragt? Ich fühle mich, als wäre ich in meiner 2. Pubertät auf dem Weg zu Menschwerdung. Auf dem Weg zu mir selber. Das ist schon irgendwie toll und erschreckend zugleich. Denn alles was ich bisher glaube zu sein, zu können oder so wurde komplett über den Haufen geworfen und ich baue nun Stück für Stück ein neues Bild von mir selber auf. Und schreiben hilft mir immer, also schreib ich mal einfach so vor mich hin.

Ich bin hochsensibel:

Das weiß ich nun seit längerem und es war eine totale Befreiung endlich zu kapieren, warum ich oft so komisch reagiere. Ich dachte immer ich könne schlecht hören, aber nun weiß ich, ich höre jeden Floh husten, bin von jedem minimalen Störgeräusch abgelenkt und kann Töne einfach nicht filtern. Alles ist gleichlaut und gleichpräsent. Da kann schon mal die eine oder andere Information flöten gehen. Ich kann genausogut alles „sehen“. Ich bin visuell extrem schnell und massiv aufnahmefähig ohne jeglichen Filter. Und dann, ja dann hab ich irgendwie noch ganz massive (ich nenn sie mal) Antennen für andere Menschen. Ich höre Dinge, die sie versuchen zu verstecken, spüre jede Lüge, merke Glück und Leid und sehe was sie beschäftigt. Das ist total seltsam und oft bin ich davon überfordert. Meine derzeitige Aufgabe sehe ich darin, mich genau in dem Punkt abgrenzen zu lernen.

Ich bin vielbegabt/ein buntes Zebra/Scanner oder wie man es auch immer nennen mag.

Ich interessiere mich für massiv viele Dinge, ich kann ganz viel, ich eigne mir permanent neues tiefgreifendes Fachwissen an. Seie es wie man ein Reetdach deckt, ein Studium der Neurologie, Pferderassen, Sprachen, Kunst, Kräuterkunde, Musik, Jonglage, Töpfern, Autismus usw. usw.

Ich bin neurotypisch:

Dachte ich zumindest immer 😉 Ich kann Doppeldeutigkeiten in Redewendungen, ich spreche in den buntesten Bildern, Redewendungen und Sinnsprüchen. (Sorry liebe mitlesenden Asperger, ich kann auch wenn ich will total klar und rational reden. Ich nenne es immer die „aspianische Sprache“. Die hab ich ganz toll gelernt inzwischen, aber ich wurde sprachlich irgendwie anders sozialisiert und hey, es ist mein Blog und ich rede nunmal gerne in bunten Bildern. Wo wenn nicht hier. Wenn was unklar sein sollte, ich erkläre es gerne) ich kann ganz schrecklich unlogisch, emotional und gefühlvoll sein, ich bin in der Lage mich in andere Menschen hineinversetzen zu können und deren Dinge nachzufühlen. Das kann ich sogar richtig gut und es hilft mir in meinem therapeutischen Beruf sehr. Ich leide auch oft unter meinem Aspergerpartner, der mich einfach nicht verstehen kann. Der einfach so extrem anders ist, der nicht mit mir in meiner Sprache zu reden vermag und mir wenig verbalen und emotionalen Austausch bietet. Ich bin sogar sehr aktiv in einer Selbsthilfegruppe für liebende Partnerinnen von Aspergern und ich bin supergerne unter Menschen und fühle mich in sozialen Situationen wohl. Naja, nicht immer denn…

…Ich bin wohl auch irgendwie Asperger:

Bisher dachte ich immer, das wären nur die anderen und es wäre ganz weit weg von mir, aber langsam wird es für mich immer deutlicher daß ich mir da was vormache. Vielleicht kenne ich auch nur zuviele Männer. Die Frauen scheinen ja doch irgendwie etwas anders sozialisiert zu sein.  Ich habe ganz massive Spezialinteressen zu denen auch seit längerem das Thema Asperger zählt. Daher sehe ich so viele Dinge. Ich kann keine Emotionen in Gesichern treffend erkennen (erinnert ihr euch? ich sehe in Menschen hinein wie in ein Buch, aber im Gesicht erkenne ich oft gar nicht. Total seltsam), ich brauche Regeln, Strukturen, denke über jede noch so kleine Handlung nach wie ich es am besten tun kann damit es irgendwie ein einer sinnvollen Reihenfolge stattfindet. Ich kann nicht mit anderen telefonieren. Ich sehe überall Muster, Strukturen und Systeme…Ich stoße Menschen oft vor den Kopf mit gnadenloser Direktheit, ich hasse sinnfreien Smalltalk, ich tue mich schwer mit sozialen Situationen auch wenn ich sie noch so gerne habe, ich verstehe keine Witze (oder nur meine eigenen *lach*), ich habe ganz massive Ordnungssysteme in meinem Chaos, ich könnte durchdrehen wenn jemand die Tasse mit dem henkel in die falsche Richtung in den Schrank stellt oder sonstwie meine Routinen stört und, und, und…

Naja und ich bin liebende Ehefrau eines Aspergers und Mutter eines was auch immer Kindes das mein ganzes Leben auf den Kopf zu stellen scheint. Aber ich glaub es ist ein gutes Training.

Kann das alles eigentlich sein und zusammengehen? So langsam glaube ich ja, nur halt „irgendwie anders“