Drübergebautes

Mein Leben lang habe ich Dinge um mein Ich gebaut um irgendwie in dieser für mich unpassenden Welt zu bestehen. Je länger ich darüber nachdenke was das alles so ist, desto weniger fällt mir noch irgendetwas ein was wirklich MEINES sein könnte. Ich welchselte ja die Spezialinteressen so wie andere die Unterhosen. Hier hab ich schon mal darüber geschrieben was das alles so war. Ich war immer mit großer Leidenschaft dabei. Dennoch wurden sie oft von anderen iniziiert.
Was kann ich denn was ich immer dachte was ICH gut kann oder bin?

Pferde…genau, Tiere und Pferde sind garantiert MEINES. Pferde, meine allerallergrößte Leidenschaft als kleines Mädchen. Meines? Nein, denn wenn ich ehrlich bin hab ich damals damit angefangen weil ein anderes Mädchen Pferde hatte und ich dazugehören wollte.

Sprachen…kann ich ganz viele und einige auch richtig gut. Sprachen lernen macht mir viel Spaß, aber ist das etwas wozu ich MEINES sagen kann? Nein. Ich habe zB. Spanisch gelernt weil ein Junge den ich bewunderte Spanisch lernte und weil die Spanischlehrerin so herrlich „anders“ war, weil so Typ Heavy Metal Fan in Bandshirts.
Englisch kann ich nur so gut, weil ich ein Anhängsel einer Clique war, die es schick fand den ganzen Tag englisch zu sprechen. Da tut man natürlich alles um dazuzugehören und so war es eigentlich mit allen anderen Sprachen auch.

Medizin…Das muß es sein! Ich liebe das Thema seit ich denken kann, aber meins? Wieder nein. Das war das was von mir als Eliteprofessorennachwuchs quasi von klein auf an erwartet wurde.

Musik...Musik ist mein treuer Wegbegleiter. Ich höre alles was der Normdurchschnitt nicht hört. Dafür alles kreuz und quer. Dennoch habe ich mich früher nur an musikalischen Randgruppen orientiert weil ich sonst nirgendwo Platz fand. Von Punk, Blackmetal über Gothic, Ska, Folk etc war eigentlich alles dabei. Hörst du die richtige Musik, reden auch die coolen Menschen mit dir. Da gabs genug schräge Vögel wie mich, da fühlte ich mich wohl. Aber ich war eigentlich nur da unterwegs, weil alles andere einfach noch schlimmer war. Ist das etwas was wirklich von mir kommt oder ist es nur Gewohnheit und Zugehörigkeit daß ich gewisse Musik mag? Ich hab da große Zweifel.

Kunst…Ich bin total künstlerisch begabt und kreativ. Zeichnen, Architektur, Dinge erschaffen liebe ich. Aber wieder nicht meines und wirklich begabt bin ich ehrlich gesagt auch nicht! Weil alle um mich herum so unwahrscheinlich unbegabt waren, fanden es natürlich alle immer mega wenn ich nur ne dusselige Blume aufs Papier malen konnte oder aus 3 Kugeln einen Schneemann formen konnte. Sie ließen mich von klein auf an fühlen als wäre ich DER Künstler der Familie. Die Rolle gefiel mir, weil ich mal wer war. Also nahm ich sie ein. Ich malte, zeichnete wie ne blöde, Kunst Leistungskurs…ich wollte sogar Kunst studieren. Heute weiß ich daß ich nicht wirklich so gut bin wie ich dachte. Ich bin durchschnittlich begabt und hab vielleicht viel Übung. Mehr nicht. Gäbe es andere Menschen nicht, würde ich all das nie tun

Lesen Ja, lesen muß doch meines sein. Traf man mich als Kind doch nie ohne Buch an. Aber wenn ich so recht drüber nachdenke lese ich heute gar nicht mehr. Lesen war meine Flucht, nie meine Leidenschaft.

mein Beruf. Nein, auch den habe ich mir nicht selber ausgesucht. Der wurde mir eingeredet weil der ja irgendwie Medizin und Kunst so herrlich verbindet und man damit ja quasi 2 Klappen schlagen könnte. Seltsam, wo weder Medizin noch Kunst anscheinend MEINES ist 😉 Zum Glück gefällt er mir halbwegs.

usw. usw. usw.
Vieles meiner zig tausend Dinge und Spezialinteressen habe ich natürlich immer gerne getan, also steckte auch immer etwas von mir drin. Leidenschaften kann man schließlich auch entwickeln durch Anstöße von anderen. Dennoch wurde ich oft „gemacht“ zu dem was angeblich meines ist, es waren immer Notnägel, ich will dazugehören nachmachereien usw. Es ist alles was drübergebaut wurde über mein ich. Das heißt nicht daß es schlecht oder unpassend ist. Schließlich hatte ich immer die Entscheidungshoheit was ich anbaue und was nicht. Trotzdem frage ich mich oft: Ja aber was ist denn nun meines was ganz von mir heraus kommt wenn all die Menschen und Einflüsse nicht gewesen wären?
Ich hab keine Ahnung, aber ich freue mich drauf es irgendwann vielleicht entdecken und leben zu können.

5 Kommentare zu “Drübergebautes

  1. Forscher sagt:

    kommt mir bekannt vor…. wetterbegeistert war ich von kind auf, so weit so gut. auch das hobby war meins, war sowieso isoliert. kannte weit und breit niemand mit diesem hobby. aber studieren? ergo, zum beruf machen? ich war damals sehr angetan von Chemie, nahm auch Leistungskurs trotz Note 4 im Zwischenzeugnis (gut, hatte überall 3er und 4er), und es machte mir Spaß. Die viele Physik schreckte mich damals ab. Aber in Meteorologie kam genauso viel Physik vor, das hab ich verdrängt. Und dann war ich recht bekannt in einem Wetterforum, wurde in den Himmel gehoben und jeder sagte, aus mir würde ein guter Vorhersager werden. Das hab ich geglaubt, trotz Warnungen weniger Vernünftiger, der Beruf sei nicht so romantisch wie das Hobby. Letzendlich hab ich es durchgezogen, weil jeder gesagt hat, ich könne das so gut. Aber sie kannten über das Forum nicht meine autismusbedingten Schwächen. Und jetzt denke ich mir im Nachhinein, dass Chemie doch einiges an mehr Möglichkeiten geboten hätte, sogar abseits der Großstädte arbeiten können, und deutlich mehr Auswahl an Arbeitsplätzen, ohne Schichtdienst.

    Diese Erkenntnis ist bitter. Spezialinteresse ja, aber zum Beruf machen habe ich mir einreden lassen, bzw. mich beeinflussen lassen von übermäßigem Lob. Dabei liegen meine Stärken vielleicht ganz woanders.

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  2. blutigerlaie sagt:

    Puh, was ist „ganz meines“? Das kann man/frau doch gar nicht sagen, denn der Input kommt doch immer von außen. ICh hab nicht so viele Gebiete durch, aber es auch schon erlebt, daß ein Gebiet plötzlich einfach abgehakt war. „Meins“ ist das geblieben, was ich in mein Leben einbauen konnte, zB meine Kräuter. Ein supertalent hab ich bei mir noch nicht entdeckt, auch wenn ich mir musikalisch und früher im Zeichnen einiges selbst angeeignet hatte. nur mein Beruf, der war nie wirklich Spezialinteresse, der war anfangs reine Notwehr: ich mußte ja immer intensiv nachdenken, wie das mit mir und den anderen so funktioniert

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  3. apfelbub sagt:

    Randgruppenmusik. Da musste ich schmunzeln. Ich bin mit Pink Floyd und Bowie groß geworden, Kind der 60er eben. Später Adam & the Ants, Devo, alte Kraftwerk. Aber, ich hörte immer alleine. Fand mich trotzdem cool. War ein Fan von mir selbst. Sang mit der Büste vor dem Spiegel im Schlafzimmer. Hielt ganze Konzerte ab.
    An meinen Spezialinteressen arbeite ich noch. Die scheinen wandelbar zu sein. Oder vielleicht langweilt mich vieles auch einfach schnell, ich wechsele das Interesse, bis auch dies mich langweilt und kehre dann reumütig zurück. Irgendwie auch ein bißchen strange, ich weiß.
    Ich glaube, ohne dich näher zu kennen, du bist prima, so wie du bist 🙂

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